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Dr. Romy Jaster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Sie forscht zu den Themen »Fähigkeiten und Willensfreiheit« sowie »Vorurteile und Stereotype« und veröffentlicht Artikel und Kolumnen. Das Interview führten wir schriftlich.

Dr. Romy Jaster –
Debattenkultur J – RJ

Worin besteht der Unterschied zwischen Debatte und Streitgespräch?

„Streitgespräch“ ist ja mehrdeutig. In einer Verwendung des Ausdrucks ist auch eine Debatte eine Art des Streitgesprächs. Aber dann gibt es natürlich auch noch das, was wir normalerweise einfach „Streit“ nennen. Und damit meinen wir, in aller Regel, Auseinandersetzungen, die von persönlichen Angriffen geprägt sind. Im Gegensatz dazu ist bei einer Debatte das Ziel, sich sachlich mit einer Frage zu befassen, Argumente auszutauschen, in seinen eigenen Wortbeiträgen auf die Argumente des Gegenübers einzugehen und von Angriffen auf der persönlichen Ebene abzusehen. Natürlich können aber auch Debatten mehr oder weniger leidenschaftlich geführt werden. Wichtig bei der Debatte ist nur das Commitment zum argumentativen Austausch. Wie hoch es dabei hergeht, hängt vom Temperament der Beteiligten ab.

Inwiefern muss sich Kommunikation bei Auseinandersetzungen wandeln?

Wünschenswert wäre natürlich, wenn bei Auseinandersetzungen grundsätzlich das Argument im Vordergrund stünde. Schließlich ist ja niemandem damit gedient, lediglich zu wissen, was das Gegenüber glaubt, sondern die spannende Frage ist immer: Warum glaubt mein Gegenüber das? Wenn ich meine These begründe, gebe ich ein Argument. Und erst darin liegt dann der Schlüssel zum Austausch. Wenn mir jemand ein Argument liefert, kann ich fragen: Ist das ein gutes Argument? Wie gut stützt die Begründung die These? Welche Hintergrundannahmen verstecken sich hinter der Begründung? Stimmt vielleicht mit den Annahmen, die zur Begründung herangezogen werden, etwas nicht? Über diese Fragen kann man sich sachlich und konstruktiv auseinandersetzen. Ohne den Fokus auf Argumente bleibt es hingegen in aller Regel beim reinen Aufeinanderprallen von Meinungen und kommt sehr schnell zum Streit. Wenn man konstruktiv diskutieren will, sollte man also immer versuchen, seine Meinung zu begründen, und das Gegenüber dazu anhalten, dasselbe zu tun, um sich dann Schritt für Schritt mit diesen Begründungen auseinanderzusetzen. Idealerweise diskutieren beide Parteien zudem ergebnisoffen und sehen im Gegenüber eine Ressource, um das eigene Überzeugungssystem zu hinterfragen. Arthur Martine schreibt dazu in „The Art of Conversation“ einen schönen Satz, nämlich: “[L]et your aim be to come at truth, not to conquer your opponent. So you never shall be at a loss in losing the argument, and gaining a new discovery.”

Warum ist eine gepflegte Debatten-Kultur in unserer Gesellschaft wichtig?

In einer Demokratie muss permanent verhandelt werden, was getan werden soll, wie wir leben wollen, wer das Sagen hat. Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Debatten können daher einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung leisten. Das gilt im persönlichen Raum ebenso wie für Podiumsdiskussionen und Talkshow-Debatten im Fernsehen. Leider laufen solche Diskussionen häufig eben nicht als gepflegte Debatte ab. Es ist ja kein Zufall, dass wir häufig Kriegsmetaphorik verwenden, wenn wir über Diskussionen sprechen. Es geht um Sieg und Niederlage, es geht darum, das Gegenüber – den Gegner – plattzumachen oder auszustechen. In all dem spiegelt sich eine durch und durch konfrontative Auffassung einer Diskussion wieder. Das gemeinsame Ringen um eine haltbare Überzeugung, das Einvernehmen darüber, dass die Dinge kompliziert sind, das aufrichtige Interesse an den Überlegungen des Gegenübers und die Bereitschaft, sein eigenes Überzeugungssystem zu überprüfen, werden in öffentlichen Debatten, zumindest im Fernsehen, sehr wenig vorgelebt, obwohl genau das dem demokratischen Meinungsbildungsprozess sehr gut tun würde.