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Dr. Martin Spetsmann-Kunkel ist Professor für Politikwissenschaft in der Sozialen Arbeit an der KatHO NRW in Aachen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt besonders in den Themengebieten Männlichkeit, Rassismus, Gewalt, Ethnizität und der räumlichen Segregation. Das Interview führten wir schriftlich.

Dr. Martin Spetsmann-Kunkel –
Bildsprache S – MSK

In unserer Gesellschaft gilt: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Wie wichtig ist also das Bild als Kommunikationsmittel für uns?

Bilder sind leichter zugänglich als geschriebene Worte. Sie sind anschlussfähig an andere uns bekannte Bilder, die wir kollektiv teilen. Dabei können Bilder zu bestimmten Themen oder Personengruppen Gefühle mobilisieren und Meinungen hervorbringen, bestätigen oder festigen. Was nicht heißen soll, dass die Deutung eines Bilds immer bei jedem gleich ausfällt. Jedes Bild ist mehrdeutig. Im Umgang mit ihm herrscht Interpretationsvariabilität, wie Umberto Eco es nennt. Je nachdem, wer es wann und wo betrachtet, kann die Deutung und Wirkung unterschiedlich ausfallen.

Bildet das Kommunikationsmedium Bild die Wirklichkeit ab oder schafft es diese erst?

Sowohl als auch. Bilder zeigen Ausschnitte von Wirklichkeit in der Sprache und den Mitteln des Bildes. Sie beeinflussen die gesellschaftliche Wirklichkeit, indem sie unsere Wahrnehmung von realen Prozessen beeinflussen können. Veranschaulichen wir uns dies am Beispiel der bildhaften Illustration der Fluchtthematik. Es gibt unterschiedlichste Möglichkeiten das Thema Flucht und die Situation von Geflüchteten darzustellen. So können sie beispielsweise eine große anonyme Masse von Menschen abbilden, die sich landeinwärts als Flüchtlingsgruppe auf eine Grenze zubewegt oder sie zeigen individualisierende Bilder von Geflüchteten z.B. in Form einer Portraitfotografie, die das Leid und die Entbehrungen dieser Menschen veranschaulicht. Beide Bilder zeigen Teile gesellschaftlicher Realität, wobei das erste Bild – die Darstellung einer anonymen Masse – Ängste und Bedrohungsszenarien bei der Betrachtung auslösen können, während das zweite Bild Emotionen freisetzen kann, die zu Formen der Empathie, Solidarität und dergleichen führen können. Beide Bilder zeigen Teile gesellschaftlicher Wirklichkeit und lösen unterschiedlichste realitätsbeeinflussende Effekte aus.

Wie sehr beeinflusst es uns, wenn etwas im Bild nicht kommuniziert wird – also, wenn etwas fehlt?

Es hat eine Wirkung auf unsere Vorstellung davon, was wir für ‚normal‘ halten, wenn wir gewohnt sind zu einer bestimmten Thematik immer wieder Ähnliches zu sehen bzw. bestimmte Personengruppen immer wieder mit gleichen Bildern in Verbindung gebracht werden oder sie teilweise abwesend sind. Betrachten wir beispielweise die Inszenierung von sexuellem Begehren in unserer Bilderwelt. In dieser Bilderwelt taucht das sexuelle Begehren von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder von alten Menschen nicht auf. Sexualität und ihre bildhafte Darstellung wird weitgehend präsentiert als Thema für junge, gesunde, attraktive Körper, nicht für andere, deren Begehren damit kaum einen Ort findet. Ein anderes Beispiel ist die bildhafte Darstellung von Familien. Sehen wir uns beispielsweise Werbungen an, die Familien zum Thema machen. Diese dargestellten Familien sind jung, weiß, haben heterosexuelle Eltern und scheinen nur vollständig mit leiblichen Kindern. Damit wird suggeriert, dies sei normal und zwar ausschließlich – einerseits durch die permanente Darstellung des immer gleichen Familienideals, andererseits durch die Abwesenheit anderer Familien- und Lebensentwürfe.